Siebziger Jahre, Wartezeit am Bahnhof und keinen Fernseher dabei? Was soll man da machen, bevor das Gehirn wieder anfängt zu arbeiten und störende Gedanken entwickelt?
Ich wills mal so sagen: Diese Reklame ist aus dem Jahr 1974. Damals gab es schon Videorekorder, aber es ist mir nicht gelungen, den Preis eines solchen Gerätes für dieses Jahr zu finden. Philips hat im Jahr 1965 einen preiswerten Spulenvideorekorder für Magnetbänder vermarktet, der rd. 7.000 DM kostete (das sind nach heutiger Kaufkraft rd. 14.500 Euro); und gegen Ende der Siebziger Jahre finden sich immer wieder Videorekorder für Preise um rd. 3.000 DM in der Reklame. Das ist wohl auch der Grund, warum es zu Anfang der Achtziger Jahre nur rd. 250.000 privat genutzte Videorekorder in der Bundesrepublik Deutschland gab: Den Menschen ging es vor Kohl, Schröder und Merkel und dem damit verbundenen Downgrade Deutschlands zwar noch relativ gut — ein Facharbeiter konnte locker sein Häuschen abbezahlen und Auto fahren und sich zwei Kinder leisten, ohne dass seine Frau dazuarbeiten musste, und vom so erarbeiteten Rentenanspruch konnte man ebenfalls recht gut leben, vor allem, wenn das Haus abgezahlt war und keine Miete mehr fällig wurde — aber so ein Videorekorder war doch ein bisschen sehr teuer. Es war schlicht ein Luxusgerät. Dies sollte sich erst in den Achtziger Jahren ändern.
Über das Minikino von Oskar Wurst konnte ich keine Informationen mehr finden. Von daher weiß ich nicht genau, ob da ein Film auf ein semitransparentes Display projiziert oder ob schon die damals moderne Magnetaufzeichnungstechnik und eine Bildröhre verwendet wurde. Angesichts der mechanischen Kompliziertheit und der damit verbundenen Störanfälligkeit eines Filmprojektors kann ich mir aber kaum vorstellen, dass es etwas anderes als eine Art Videorekorder mit einem Fernsehgerät war. Der „Anschaffungswiderstand“ für den Aufsteller dürfte im Bereich etlicher tausend D-Mark gelegen haben, die erst einmal an geeigneten Aufstellorten (zum Beispiel Wartesäle von Bahnhöfen und Flughäfen, wo Menschen häufig einen längeren Aufenthalt zu überbrücken hatten) eingespielt werden mussten, bevor ein Reibach verbucht werden konnte — und dabei in Konkurrenz zu den damals noch üblichen Kinos in Bahnhöfen standen. Das Kino im hannöverschen Hauptbahnhof kostete zum Beispiel fünf Mark Eintritt für einen zeitlich unbegrenzten Aufenthalt und bot einen Film auf einer großen Leinwand und einen deutlich bequemeren Sitzplatz als diese gepolsterte Metallbank aus der Abbildung, die ein ziemlich typisches Design der Siebziger Jahre zeigt. Wenn es überhaupt einmal „sensationelle Kasseneinnahmen“ gab, dann war das wohl zu einer Zeit, in der diese Dinger noch neu waren und viele Menschen sie einfach mal ausprobieren wollten. Und danach konnten die meisten Menschen darauf verzichten. Es gab ja auch richtige Kinos. Und es gab viele davon.
Und das ist wohl der Grund, weshalb diese Innovation nicht so ein großer Erfolg geworden ist, dass man sie überall gesehen hätte. Aber was interessiert sich ein Werbetexter für die Wirklichkeit?!