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Billige Volksausgabe
Denn wer sich Allianz versichert…
Kindermehl
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Wie soll ich nur diese Sehnsucht ertragen?
Wenn man einmal davon absieht, dass heute wohl niemand mehr Reklametexte mit so langen Sätzen formulieren würde, weil man doch überall auf den leseunfähigen Auswurf des BRD-Schul- und -Bildungswesens Rücksicht nehmen muss, gibt es vor allem eines, was sich in den letzten rd. achtzig Jahren geändert hat: Damals sollte man wegen der Parkanlagen in die Stadt kommen, und heute soll man wegen der Parkplätze in die Stadt kommen.
In diesem Sinne: Besuchen sie das herrliche Parkhaus in der Osterstraße mit seiner wunderschönen Siebziger-Jahre-Ästhetik und kecken Betonfassade. Hier sind sie mitten in der Innenstadt. Nach nur fünfhundert Meter Fußweg durch eine auch auf dem dritten Blick nicht einladend wirkende Stadtlandschaft in unaufdringlichem DDR-Grau stehen sie vor dem zwei Größenordnungen zu groß geratenen Landtag im Leineschloss, dessen Ministerpräsident sich seine Regierungserklärungen von VW korrekturlesen lässt, bevor er sie im Plenarsaal vorträgt. Stinkend plätschert die Leine daran entlang, weil sie keine andere Wahl hat. Generell stinkt es, denn die Kanalisation war vor dreißig Jahren schon verrottet, so dass eine naturnahe Duftnote das Erlebnis der „Stadt im Grauen“ zur allsinnlichen Erfahrung vervollständigt. Für eine Sanierung ist kein Geld da, dafür setzt sich jeder Hansel aus der Kommunalpolitik sein kleines Denkmal, bis hin zur Expo. Vom Landtag aus können sie kurz einen Blick auf die rd. zwanzig Fachwerkhäuser der hannöverschen Altstadt werfen, die dem britischen Weltkriegsabrissdienst — Sprengbomben, um die Dächer abzudecken, Napalm hinterher, damit es lichterloh brenne, Sprengbomben hinterher, um die Flüchtenden in Tote zu verwandeln — so weit trotzen konnten, dass sich ihr Wiederaufbau noch lohnte, damit sich eine gute Fassade für überteuerte Ladengeschäfte und hochpreisige Erlebnisgastronomie entwickele. Der Rest ist eine bunte Mischung aus arschitektonischen Geschmacksverirrungen der Fünfziger, Sechziger, Siebziger und Achtziger Jahre, sowie vor allem in Gestalt der großen Einkaufspromenaden und der zur Niki-de-Saint-Phalle-Promenade umgestalteten, schnuckeligen Stadtuntertunnelung Pisserille… ähm Passerelle… einladenden Kälte der Nuller Jahre, angeordnet zu einem bunten Flickenteppich aus Malls und Müll, der in seiner erbäulichen Beliebigkeit noch den fröhlichsten Menschen in ein griesgrämiges und gleichgültiges Hannovergesicht verwandelt hat. Gehen sie durch die große Fußgängerzone der Georgstraße, schauen sie auf das sehnsüchtig zum Bahnhof blickende Schillerdenkmal, das seit Jahrzehnten nicht weg kommt, und betrachten sie die vielfältigen Möglichkeiten, ihr Geld für sinnloses und unnützes Zeug auszugeben. Freuen sie sich darüber, dass am Ende der Georgstraße am Steintor ein pulsierender, bunter Marktplatz entstanden ist, in dem überwiegend afrikastämmige Kleinkaufleute ihnen alles feilbieten, was das Leben in Hannover ein bisschen erträglicher machen kann: Gras, Meth, Pepp, Crystal, Acid und Molly. Erstaunlich: So schlecht ihr Deutsch auch sein mag, die Zahlen haben sie alle gelernt. Wenn ihnen dieses Angebot nicht reicht: Heroin wird hinterm Bahnhof gehandelt, in Sichtweite der Polizeiwache Raschplatz. Freuen auch sie sich darüber, dass es einen Bahnhof gibt, damit man aus der weltberühmten Expo- und Messestadt wieder abreisen kann, denn die Aussicht, wie ein Eingeborener hier zu verbleiben oder gar zu verenden, ist ja doch nicht so erfreulich. Gehen sie schnell zum Auto zurück, denn das Parken ist teuer wie in einer richtigen Großstadt, steigen sie ein und fahren sie wieder weg, aber kurbeln sie die Fenster erst herunter, wenn sie schon ein bisschen weiter draußen sind, damit der typische hannöversche Odeur mit seiner Fäkalnote nicht ihre ganze Rückfahrt begleitet und fragen sie sich nicht mehr länger, warum eigentlich seit Jahrzehnten trotz reichlich verfügbarer Parkplätze niemand mehr in die Innenstadt von Hannover geht, der es nicht unbedingt muss oder ein schweres Problem mit seiner Psyche oder seinem angeheirateten Lebensgefährten hat. Einen Zeitraffer benötigen sie hier eben so wenig wie eine große Geduld, wenn sie gern den Blumen beim Verwelken zuschauen.
Wenn sie ein Andenken mitnehmen möchten, nehmen sie am besten eine Zeitung des hannöverschen Madsack-Verlages, egal welche, weil in allen das Gleiche steht: Abgeschriebene PResseerklärungen, Agenturmeldungen und schlecht recherchierte Artikel zu lokalen und Umlands-Themen. Wenn sie Glück haben, wird in ihrem gekauften Hannoverschen Ganzgemeinen Zeitdung dafür geworben, dass sich Hannover als europäische Kulturhauptstadt 2025 bewirbt. Darüber freuen sich die gleichen Geschäftemacher und Geldsäcke, die sich auch über die EXPO 2000 gefreut haben — und den meisten einfachen Menschen ist es eigentlich nur noch scheißegal und was sprichst du mich überhaupt an…
Hannover ist auch für sie ein lohnendes Reiseziel! Vor allem bei der Abreise.