Playboy

An Aufsteller gerichtete Werbung für den Rally-Play-Flipper 'Playboy' aus dem Jahr 1967 -- PLAY-BOY -- DER ERSTE FLIP-TRONIC 1968 VON RALLY PLAY -- Noch spielfreudiger! Noch dynamischer! Noch service-freundlicher! Noch bessere Kassen!

Zu dieser an Aufsteller gerichteten Reklame aus dem späten Herbst des Jahres 1967 für den damals unglaublich futuristisch wirkenden und sehr seltenen Flipper „Playboy“ der französischen Firma Rally Play könnte ich so viel schreiben, aber ich versuche mal, mich kurz zu fassen.

  1. Die gesamte Beleuchtung von Backglass und Spielfeld war für damalige Verhältnisse sehr hell. Das ergänzt sich sehr gut mit dem auch für die Sechziger Jahre ungewöhnlich grellen und geradezu giftigen Farbschema Türkis, Pink, Gelb, Rot und Grün und gibt dem Gerät ein insgesamt unverwechselbares Aussehen. (Das ist doch eine sehr nette Beschreibung für schlechten Geschmack in jeder nur denkbaren Form.) Das Gehäuse unterscheidet sich zudem in seiner Form deutlich vom Standard, den man von Bally und Gottlieb gewohnt war. Der Flipper ist etwas „kleiner“ als andere Geräte seiner Zeit, was bei der damaligen Hauptaufstellung in Kneipen eigentlich ein Vorteil gewesen wäre — wenn der helle, grelle und trötende Kasten nicht so ein Stilbruch im dünstig-dämmrigen Braun und Grün der stammtischhauchdurchwirkten Praxisräume des Bieranästhesisten gewesen wäre.
  2. Was man in der Werbung nicht auf dem ersten Blick sieht, was aber beim „Playboy“ sofort aufgefallen ist: Die Punktzahl wird nicht über mechanische Zählwerke angezeigt, wie es damals bei Flippern üblich war, sondern über Nixie-Röhren. Wehe den armen Seelen der Sammler, die eine defekte Nixie-Röhre austauschen wollen und sich deshalb irgendwoher einen Ersatz beschaffen müssen und die Mondpreise für eine seit Jahrzehnten obsolete und nicht mehr hergestellte Technik sehen. Tipp: Manchmal findet man im virtuellen weltweiten Garagenflohmarkt (allgemein unter der Firmierung eBay bekannt) relativ preiswerte russische Nixie-Röhren, weil dort viel länger als im Westen Röhren im Einsatz waren. Jenen, die einen Vergleichstyp suchen, wünsche ich viel Spaß beim Lesen russischer Datenblätter. (Es ist nicht so schwierig, aber es ist auch nicht ganz einfach. Zum Glück klingen die meisten technischen Begriffe auf Russisch recht ähnlich wie auf Englisch, унд ан дас Алфабет гевёнт ман зих раш. Um was es geht, ist ja klar.)
  3. Auch, wenn man es gar nicht vermutet (sogar der allgemeine Geräuschpegel während des Spieles ist für die Sechziger Jahre relativ leise), handelt es sich um ein elektromechanisches Gerät ohne Mikroelektronik. Es war noch nicht einmal 1968, als dieser Flipper vorgestellt wurde. Es gab noch keine Taschenrechner, und wo immer viel gerechnet wurde, dominierte die mechanische Rechenmaschine, während die ersten elektronischen Tischrechner unbezahlbare Exoten für den größeren Ingenieursbetrieb und „richtige“ Computer etwas raumgreifend waren. Rd. ein halbes Jahr nach der Vorstellung dieses Flippers sollte die erste bemannte Mondlandung mit einer (damals sündhaft teuren) Computersteuerung mit stolzen zwei Kilobyte RAM und einem Gewicht von 32 Kilogramm vollzogen werden. Als Neil Armstrong sah, dass der Computer auf einem Geröllfeld landen „wollte“, hat er aber lieber die Handsteuerung übernommen, um auf einer ebenen Stelle zu landen. Gut, dass Armstrong ein guter Pilot war, sonst hätte Präsident John F. Kennedy wohl seine vorbereitete Trauerrede voller Pathos und Heldentum im Flattern des US-amerikanischen Mordtuches halten müssen. Heute reden sie allen Ernstes davon, dass so genannte künstliche Intelligenz für uns autofahren soll, auf dass sich die natürliche Dummheit rasendschnell immer weiter ausweite. Es kann nicht mehr allzulange dauern, bis die Äcker mit isotonischen Getränken begossen werden. Skynet braucht gar keinen teuren Krieg anzuzetteln. Die Menschheit hungert sich einfach vor Dummheit selbst aus.
  4. Einer der Gründe für das ungewöhnlich leise Spiel war neben dem Verzicht auf mechanische Zählwerke, dass es in diesem Flipper nur einen Bumper gab — ansonsten werden dergestalt angeordnete Slingshots (kennt dafür jemand ein deutsches Wort?) verwendet, dass die Kugel nur in seltenen Ausnahmefällen mehrfach geräuschvoll hin- und herspringt. Die meisten Ziele waren sternförmige, bei erhöhter Punktzahl von hinten durchleuchtete Überrollkontakte. Ein recht ungewöhnliches Ziel ist die rotierende Scheibe mit den beiden „Gummignubbeln“ (es gibt sicherlich einen Fachausdruck dafür, aber ich kenne ihn nicht) in der unteren Mitte des Spielfeldes, die beim versehentlichen Anschießen so manchen Abgang verursacht haben.
  5. Damit es nicht gar zu leise wurde, war der „Playboy“ auch der erste Flipper, in dem ein elektronischer Klanggenerator verbaut wurde. Es ist schwierig, das sehr charakteristische Geräusch zu beschreiben. Für mich klang es eher wie ein „Tröten“ und völlig anders als das typische „Bimmeln“ der verbreiteteren Flipper aus jener Zeit. Häufig gab es Probleme mit der elektronischen Klangerzeugung, der Trötton wurde dann für längere Zeit gehalten und nervte alles im Umkreis von fünfzig Metern mit dem Trööööööööööt des Schreckens ohne Ende. Das Kabel zum Lautsprecher wurde deshalb öfter mal durchgeschnitten, was den dann sehr „leisen“ Flipper aber eher unattraktiver machte.
  6. Der „Playboy“ war der erste Flipper, bei dem ein rotes, beleuchtetes Hindernis (ein Post-up) zwischen den beiden Flipperfingern aufsteigen konnte, so dass ein Abgang nur noch über den Seitenauslauf möglich war. Frühere Flipper hatten dafür die Flipperfinger eng gestellt, was nicht nur mechanisch deutlich aufwändiger ist, sondern auch optisch weniger hermacht, weil man ja den „Stöpsel“ auch noch beleuchten kann, wenn er oben ist. Dieses von Rally Play im Playboy erstmals verbaute Feature wurde sehr schnell von Bally und Gottlieb und anderen Herstellern aus der dritten Reihe kopiert, es kann in vielen Flippern bis weit in die Achtziger Jahre hinein immer wieder einmal gesehen werden. Es ist, so weit ich weiß, das einzige von Rally Play eingeführte Spielfeature, das auch spätere Flipper noch prägen sollte.
  7. Leider war der „Playboy“ bei aller seiner Innovation und grellen Optik eher etwas langweilig und wirkte in seinem Spielgeschehen uninspiriert und ziellos. Wie wir auch im Jahr 2019 noch gut genug aus Erfahrung wissen, macht aufwändige Optik und guter Sound allein noch kein gutes Spiel. Aber dennoch: Wer mal ein vergnügliches Stündchen erleben möchte, noch einige DM-Münzen zu 10 Pfg., 50 Pfg. und 1 DM nebst einer Zeitmaschine rumstehen hat, stelle einfach das Zieljahr auf 1968 bis 1970 und spiele den „Playboy“! Die Suche nach dem Flipper wird sehr erleichtert dadurch, dass die kleine Bauweise, die helle Beleuchtung und das schrille Farbschema sofort auffallen und dass das Gerät beinahe nur in Spielhallen zu finden ist, weil es schlicht nicht in damalige Kneipen passte. Ein Spiel hat 20 Pfennig gekostet, für ein Fünfzig-Pfennig-Stück mit Kopftuchmädchen beim Baumpflanzen auf der Rückseite gab es drei Spiele, und für die schöne Minke mit der Bundesamsel auf der Rückseite sieben Spiele. Sehr angenehm ist es dabei, dass Design und Gewicht dieser Münzen seit Einführung der DM-Münzen konstant blieben, so dass sich auch in der heutigen Zeit mit Leichtigkeit etwas Spielgeld auftreiben lässt. Halsabschneiderische Spielhallen in Bahnhofsnähe haben leider oft für fünfzig Pfennig nur ein Spiel am „Playboy“ gegeben und den Groscheneinwurf blockiert — es gab ja auch noch keine stundenlangen Wartezeiten zu überbrücken, und die Deutsche Bundesbahn war noch pünktlich wie die Eisenbahn. Selbst das ist aber immer noch ein billiges Vergnügen für die heutige teure und arme Zeit. Aber bitte kein Aufsehen bei der Zeitreise erregen und keine moderne Technik mitnehmen, nicht, dass das Zeitreisen schließlich doch noch verboten wird!

Ich habe auf Juhtjuhbb leider keine Aufnahme eines Playboy gefunden, bei dem die Kabel zum Lautsprecher nicht durchtrennt wurden, und so richtig original wirkt er doch nur durch den Engelssang seiner im Regelfall nur kurz angeblasenen elektronisch erzeugten Tröten. Aber nicht verzagen! Es gab mit exakt gleichem Spielfeld, aber leider viel geschmackvollerer Farbgebung auch eine Ausgabe für vier Spieler, den „Comics“ (in dem für die zusätzlichen Punktzahlanzeigen acht Nixie-Röhren mehr verbaut wurden). Und davon hat jemand ein (leider nicht so schönes, aber dafür auch noch geringauflösendes) Video gemacht, und dieser „Comics“ trötete noch. Natürlich kam es dabei auch zu ein paar Fehlfunktionen, so dass man im Video sehr gut hören kann, wie endzeittrompetenalarmnervtötend sie waren (zum Beispiel ab Minute 3:54).

Ich verstehe nicht, wieso das Kabel zum Lautsprecher so viele Jahrzehnte überstehen konnte. Die einzige plausible Erklärung ist eine große, für den Flippertransport geeignete Zeitmaschine und ein Kauf in den Sechziger Jahren.

Über 124c41

Gaga singt Dada aus der Statt der tausend Dröhne. Ein marginalisierter macht merglig kunst aus künstlich wohrten. Sieben schnabel überdruss.

2 Kommentare zu “Playboy

  1. […] störungsfrei durchlief und den Leuten die Groschen aus der Hand fraß. Ja, so etwas Robustes konnte man in den Sechziger Jahren bauen. Gut gepflegte Geldspielgeräte aus dieser Zeit laufen bis heute (wenn man das verharzte Öl mit […]

  2. […] sicher nie gesehen. Der einzige Flipper mit Nixie-Röhren, den ich jemals gesehen habe, war der Playboy aus den Sechziger Jahren. Ende der Siebziger Jahre waren Nixie-Röhren eine veraltende Technik und wurden kaum noch verbaut […]

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